Die Kraft der richtigen Haltung
Ist, was geschieht, wirklich immer das Beste ?...
Offenbar hat alles geschehen müssen, was geschah — gemäß den Ursachen und Wirkungen in der Welt. Doch lässt sich das erst im nachhinein sagen, nicht vorher. Denn die Frage, ob das Bestmögliche geschieht, ist eine individuelle Frage, sei der Einzelne nun ein Volk oder ein bestimmter Mensch, und alles hängt von der persönlichen Haltung ab. Könnt ihr im Angesicht von Ereignissen, die gleich geschehen werden, die höchste euch mögliche Haltung einnehmen, d.h., bringt ihr euer Bewusstsein mit dem höchsten euch zugänglichen Bewusstsein in Kontakt, dann dürft ihr völlig gewiss sein, dass in diesem Fall das Bestmögliche geschieht. Sobald ihr aber aus diesem Bewusstsein in ein niedrigeres fallt, geschieht offensichtlich nicht das Bestmögliche — eben, weil ihr nicht in eurem besten Bewusstsein seid... Ja, ich behaupte sogar, dass im Einflussbereich jedes Einzelnen die richtige Haltung nicht nur alle Umstände zum Besten wenden kann, sondern die Umstände selbst zu ändern vermag. Wenn zum Beispiel einer kommt, um euch zu töten, und ihr dabei im gewöhnlichen Bewusstsein bleibt, also erschreckt und den Kopf verliert, dann wird ihm sein Vorhaben wohl gelingen. Steigt ihr ein klein wenig höher und ruft trotz eurer Angst das Göttliche zu Hilfe, so dürfte euch der Kerl verfehlen oder nur leicht verletzen. Wenn ihr aber die rechte Haltung habt und das volle Bewusstsein der göttlichen Gegenwart rings um euch, dann vermag er nicht einmal den kleinen Finger gegen euch zu erheben.
Diese Wahrheit ist der eigentliche Schlüssel zur Umwandlung. Bleibt stets mit der göttlichen Gegenwart in Verbindung, versucht sie herabzubringen, und immer wird das Bestmögliche geschehen. Natürlich wird sich die Welt nicht auf einmal ändern, aber sie wird so schnell fortschreiten, wie sie vermag. Denkt daran: das gilt nur, wenn ihr auf dem geraden Weg des Joga bleibt, nicht aber, wenn ihr vom Pfad abweicht und ihn verliert, wie in einem Urwald umherschweift oder euch gehen lasst.
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Wenn jeder von euch sein Bestes täte, gäbe es eine wirkliche Zusammenarbeit, und das Ergebnis käme bedeutend schneller. Ich habe zahllose Beispiele der Kraft der richtigen Haltung gesehen. Ich habe gesehen, wie ganze Menschenmengen durch einen Einzigen, der die richtige Haltung bewahrte, vor der Katastrophe gerettet wurden. Doch soll diese richtige Haltung nicht nur irgendwo hoch oben sein, während der Körper seinen gewohnten Reaktionen überlassen wird. Wenn ihr auf diese Art oben bleibt und sagt: „Gottes Wille geschehe", könnt ihr gleichwohl getötet werden. Denn euer Körper mag recht ungöttlich sein und vor Angst zittern. Es gilt, das wahre Bewusstsein bis in den Körper hinein zu halten und nicht die geringste Angst zu haben, sondern voll göttlichen Friedens zu sein. Dann besteht in der Tat keine Gefahr. Nicht nur Angriffe von Menschen könnt ihr abwenden, sondern auch auf die Tiere und sogar die Elemente einwirken.
Ich kann euch ein kleines Beispiel geben. Ihr erinnert euch an die Nacht des großen Zyklons mit dem furchtbaren Getöse und den Regengüssen überall in der Stadt. Ich dachte, ich sollte in Sri Aurobindos Zimmer gehen, um ihm die Fenster schließen zu helfen. Ich öffnete die Tür ein wenig, und da sah ich ihn ruhig an seinem Schreibtisch sitzen und schreiben. In dem Zimmer herrschte ein so fester Friede, dass niemand sich hätte vorstellen können, dass draußen ein Zyklon wütete. Die Fenster standen weit offen, kein Tropfen kam herein.
XVI
Die Vorstellungskraft ist ein Vermögen geistigen Formens. Wird diese Kraft in den Dienst des Göttlichen gestellt, so prägt und formt sie nicht nur, sondern ist auch schöpferisch. Im übrigen gibt es keine unwirklichen Formationen, denn jedes Bild ist auf der geistigen Ebene eine Wirklichkeit. Die Geschichte eines Romans zum Beispiel existiert in ihrer Gesamtheit auf der geistigen Ebene, unabhängig von der physischen. Jeder von uns ist bis zu einem
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gewissen Grade ein Romancier und besitzt das Vermögen, auf dieser Ebene Formen zu schaffen. Tatsächlich ist ein Großteil unsres Lebens das Ergebnis unsrer Vorstellungskraft. Jedesmal, wenn ihr sie auf ungesunden Bahnen schweifen lasst, indem ihr euren Befürchtungen eine Form gebt und Unfälle und Unglücke vorherseht, unterminiert ihr eure eigene Zukunft. Je optimistischer hingegen eure Vorstellung ist, desto besser sind eure Aussichten, das Ziel zu erreichen. Monsieur Coué hat sich dieser mächtigen Wahrheit zu bedienen gewusst und Hunderte von Leuten geheilt; er brachte sie einfach dazu sich vorzustellen, sie seien ihre Sache los. Einmal erzählte er von einer Dame, der die Haare ausfielen. Sie begann sich einzureden, dass ihr Zustand täglich besser werde und ihr Haar bestimmt tüchtig wachse. Indem sie sich das ständig vorstellte, fing ihr Haar tatsächlich zu wachsen an und erreichte dank weiterer Autosuggestion sogar eine beneidenswerte Länge.
Das Vermögen geistiger Formation ist auch im Joga sehr nützlich. Wenn der Geist mit dem göttlichen Willen in Verbindung gesetzt wird, beginnt die übergeistige Wahrheit durch die Schichten zwischen dem Geist und dem höchsten Licht herabzusteigen, und findet es dann im Geist das Vermögen, Formen zu schaffen, so kann sie sich leicht einkörpern und bleibt als schöpferische Kraft in euch. Darum sage ich euch immer, seid niemals traurig oder niedergeschlagen. Lasst eure Vorstellung stets voll Hoffnung sein und sich freudig dem Druck der höheren Wahrheit fügen, dass diese in euch all die notwendigen Formationen finde, ihr Schöpferlicht zu fassen.
Wie ein Messer kann auch die Vorstellungskraft zum Guten oder Schlechten verwendet werden. Wenn ihr in euch immer die Idee oder das Gefühl bewahrt, dass ihr umgewandelt werdet, fördert ihr damit den Joga. Gebt ihr hingegen der Niedergeschlagenheit nach und klagt, dass ihr für die Verwirklichung nicht bereit oder dazu überhaupt unfähig seid, dann vergiftet ihr euer Wesen. Wegen dieser ungemein wichtigen Wahrheit dringe ich so sehr darauf und wiederhole euch unermüdlich: Geschehe was wolle, aber lasst euch nicht deprimieren ! Lebt im Gegenteil in der dauernden Hoffnung, der beständigen Überzeugung, dass gelingen wird was wir tun. Mit anderen Worten, lasst eure Vorstellung von eurem Glauben an Sri Aurobindo
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geformt werden; denn ist nicht solcher Glaube die Hoffnung und Überzeugung, dass Sri Aurobindos Wille sich schicksalhaft erfüllen muss, dass sein Werk der Umwandlung notwendig von einem höchsten Sieg gekrönt sein wird und dass, was er die übergeistige Welt nennt, auf die Erde herabkommen und sich hier und jetzt verwirklichen muss !
XVII
Die Menschen anerkennen alles, was das Göttliche ausdrückt, derart ungern, dass sie stets darauf aus sind, etwas zu beanstanden, scheinbare Mängel zu entdecken, und so das Höhere auf ihre eigene Stufe herabzumindern. Sie sind einfach entrüstet, wenn sie sich übertroffen fühlen, und nie sind sie glücklicher, als wenn es ihnen gelingt, oberflächliche „Unvollkommenheiten" zu finden. Doch vergessen sie dabei, dass wenn sie mit ihrem groben physischen Geist sogar dem Göttlichen persönlich begegnen — weilt es gerade verkörpert auf der Erde —, ihnen zwangsläufig doch nur Grobes zu Gesicht kommt. Sie können nichts zu sehen hoffen, was sie unfähig sind zu sehen oder was sie gar nicht sehen wollen. Zweifellos beurteilen sie das Göttliche falsch, wenn sie nach dem äußeren Aspekt seiner Handlungen gehen; denn sie begreifen nie, dass, was dem menschlichen Tun gleicht, dennoch etwas völlig anderes ist, wenn es aus einer Quelle kommt, die nicht menschlich ist.
Offenbart sich das Göttliche, um auf Erden sein Werk zu vollbringen, so handelt es scheinbar wie andere Menschen auch, aber eben nur scheinbar. Es lässt sich nicht nach den Normen des Sichtbaren und Scheinbaren bewerten. Aber die Menschen sind in ihre eigene Minderwertigkeit verliebt und können sich nicht einer höheren Wirklichkeit unterwerfen oder eine solche auch nur einräumen. Diese Tadelsucht, diese boshafte Leidenschaft, die kritisiert und zweifelt, wo etwas in einem doch sagt, dass es sich um eine höhere Wirklichkeit handelt, ist das eigentliche Merkmal der
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Menschheit — ein Zeichen des Nurmenschlichen. Umgekehrt, wo immer sich eine spontane Bewunderung für das Wahre, Schöne, Edle findet, drückt sich etwas Göttliches aus. Ihr dürft gewiss sein, dass es die Seele in euch ist, mit der euer physisches Wesen in Berührung kommt, wenn euer Herz sich aufschwingt etwas zu bewundern und anzubeten, von dem ihr spürt, dass es göttlichen Ursprungs ist.
Wenn ihr vor etwas steht, das ihr als göttlich empfindet, müsstet ihr Tränen der Freude vergießen. Engherzige Kreaturen sind das, die stutzen und sich sagen: „Ja, da mag zwar etwas Großes vorhanden sein, doch bewundernswert wäre es erst, wenn mir das zufiele, wenn ich der glückliche Besitzer dieser Eigenschaft wäre, das Instrument dieser höheren Offenbarung." Warum sich um sein eigenes Ich sorgen, wo es doch jetzt die Hauptsache ist, dass das Göttliche sich überall enthüllt, wo und wie es will ? Ihr müsstet euch beschenkt und erfüllt fühlen, wenn es sich so bekundet, müsstet fähig sein, die engen Schranken eurer erbärmlichen Persönlichkeit zu durchbrechen und euch in selbstloser Freude zu erheben. Diese Freude ist das echte Zeichen dafür, dass eure Seele erwacht ist und die Wahrheit gespürt hat. Dann erst könnt ihr für den Einfluss der herabsteigenden Wahrheit offen sein und von ihr geformt werden. Ich erinnere mich, wie ich manchmal zu Tränen bewegt war, wenn ich Kinder, ja sogar Babys etwas tun sah, das göttlich schön und einfach war. Fühlt diese Freude, und ihr werdet von der göttlichen Gegenwart in unsrer Mitte einen Gewinn haben können.
XVIII
Die meisten von euch leben an der Oberfläche ihres Wesens, der Berührung äußerer Einflüsse preisgegeben. Ihr lebt sozusagen an den Rand eures Körpers projiziert, ja beinah aus ihm heraus, und wenn ihr einen ebensolchen anderen trefft, der euch unangenehm vorkommt, dann seid ihr verstört. Die ganze Schwierigkeit rührt
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daher, dass ihr nicht gewohnt seid zurückzutreten. Ihr müsst immer in euer Inneres zurücktreten — lernt tief hineinzugehen. Tretet zurück, und ihr seid sicher. Liefert euch nicht den oberflächlichen Kräften der äußeren Welt aus. Auch wenn ihr in Eile seid etwas zu tun, tretet einen Augenblick zurück, und ihr stellt zu eurer Überraschung fest, dass ihr die Arbeit, die euch obliegt, viel schneller und viel besser tut. Wenn jemand eine Wut auf euch hat, lasst euch nicht von seinen Schwingungen anstecken, sondern tretet einfach zurück, und seine Wut verpufft, weil sie keine Unterstützung oder Erwiderung in euch findet. Wahrt immer euren Frieden, widersteht jeder Versuchung ihn zu verlieren. Entscheidet nichts, ohne zurückzutreten, sagt nie ein Wort, ohne zurückzutreten, werft euch nie in eine Tätigkeit, ohne zurückzutreten.
Alles, was zur gewöhnlichen Welt gehört, ist flüchtig, ohne Dauer; es gibt nichts in ihr, was es wert wäre, dass man sich darüber aufregt. Was dauert, was ewig, unsterblich und unendlich ist, das ist wahrhaft wert, dass man es erlangt, erringt und besitzt. Es ist das göttliche Licht, die göttliche Liebe, das göttliche Leben — es ist auch der höchste Friede, die vollkommene Freude und alle Meisterschaft auf Erden, mit der ganzheitlichen Seinsoffenbarung als Krönung. Gewinnt das Gefühl von der Bedingtheit der Dinge; dann vermögt ihr zurückzutreten und zu schauen, ganz gleich was geschieht; ihr könnt ruhig bleiben, die göttliche Kraft rufen und ihre Antwort abwarten. Alsdann wisst ihr genau, was zu tun ist. Denkt daran, dass ihr keine Antwort auf euren Ruf bekommen könnt, solange ihr nicht völlig ruhig seid. Übt diesen inneren Frieden, macht wenigstens einen kleinen Anfang und fahrt damit fort, bis es euch zur Gewohnheit wird.
XIX
Erkenntnis von Wissenschaftler und Jogi
Der Gipfel des gewöhnlichen Bewusstseins ist die Wissenschaft. Für sie ist wahr, was auf der Erde ist, einfach weil es da ist. Was sie Natur nennt, gilt ihr als Wirklichkeit schlechthin, und ihr Ziel ist
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eine Theorie, die deren Funktionieren erklärt. Sie steigt dabei so hoch, wie der physische Geist kann, und versucht die Ursache von dem zu finden, was sie für die wahre, wirkliche Welt hält. Tatsächlich aber passt sie die „Ursachen" den „Wirkungen" an, denn sie hat ja das Bestehende schon als das Wahre und Wirkliche angenommen und sucht nur noch eine mentale Erklärung dafür. Für das jogische Bewusstsein hingegen ist diese Welt nicht die letzte Wirklichkeit. Wenn es sich über den Geist in den Obergeist und dann in den Übergeist erhebt, betritt es die göttliche Welt der Urwahrheiten, und von dort herabblickend sieht es, was mit denen hier unten geschehen ist, wie sehr sie entstellt, wie völlig sie verfälscht worden sind. Demnach ist die sogenannte Welt der Fakten für den Jogi eine Falschheit und keineswegs die wahre Wirklichkeit. Sie ist nicht, was sie sein sollte, ist sogar beinah das Gegenteil davon, während sie für den Wissenschaftler ganz und gar grundlegend ist.
Unser Ziel ist es, die Dinge zu ändern. Der Wissenschaftler behauptet, alles Bestehende sei natürlich und könne nicht grundlegend geändert werden. In Wahrheit jedoch sind die Gesetze, von denen er gewöhnlich spricht, ein Erzeugnis seines eigenen Geistes, und nur weil er die Natur so, wie sie ist, als die eigentliche Grundlage annimmt, können sich für ihn die Dinge nicht wahrhaft ändern. Aber nach unserer Ansicht lässt sich das alles ändern, denn wir wissen, dass es etwas darüber gibt, eine göttliche Wahrheit, die sich zu offenbaren sucht. Es gibt hier keine unveränderlich festen Gesetze, und die Wissenschaft selbst anerkennt in ihren weniger dogmatischen Stunden, dass die Gesetze einfach Geistgebäude sind. Es gibt lediglich Einzelfälle, und wenn sich der Geist mit allen Umständen beschäftigen könnte, würde er erkennen, dass keine zwei Fälle gleich sind. Gesetze sind für des Geistes Zwecke gemacht, aber das Verfahren der übergeistigen Offenbarung ist ganz anders, ja geradezu das Gegenteil. In der übergeistigen Verwirklichung trägt jedes Ding eine Wahrheit in sich, die sich jeden Augenblick offenbart, ohne durch Vorhergegangenes oder Nachfolgendes gebunden zu sein. Diese komplizierte Verkettung von Vergangenheit und Gegenwart, die den Dingen der Natur den Anschein einer so unerbittlichen Folgerichtigkeit gibt, ist bloß eine
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mentale Weise, die Dinge zu erfassen, jedoch kein Beweis dafür, dass alles Bestehende unausweichlich so ist und nicht anders sein kann.
Das Wissen des Jogis ist auch eine Antwort auf die schreckliche Theorie, dass alles, was geschieht, Gottes unmittelbares Wirken sei. Denn sobald ihr euch zum Übergeist erhebt, erkennt ihr, dass die Welt falsch und entstellt ist. Die übergeistige Wahrheit hat überhaupt noch keine Gelegenheit gefunden sich zu offenbaren. Wie könnte also die Welt ein wahrer Ausdruck des Göttlichen sein ? Erst wenn der Übergeist hier unten fest gegründet ist und herrscht, lässt sich sagen, dass nur der höchste Wille authentisch offenbart ist. Gleichzeitig aber müssen wir uns von einer gefährlichen Übertreibung der Lügenhaftigkeit der Welt freihalten, die sich einem leicht aufdrängt, wenn man in das höhere Bewusstsein aufsteigt. Mit Schankara und anderen seinesgleichen ist folgendes geschehen: Sie haben einen Schimmer vom wahren Bewusstsein erhascht, was die Lüge dieser Welt so scharf hervortreten ließ, dass sie behaupteten, das Universum sei nicht nur falsch, sondern es existiere überhaupt nicht wirklich, es sei eine Illusion, die man ganz und gar aufgeben sollte. Wir nun sehen diese Lüge und Falschheit ebenfalls, doch wissen wir auch, dass dies Weltall verändert und nicht als Trug aufgegeben werden muss. Zwar ist die Wahrheit schlecht übersetzt worden, etwas ist dazwischengetreten und hat die göttliche Wirklichkeit entstellt, aber dennoch ist die Welt tatsächlich dazu bestimmt, sie auszudrücken. Und dies ist in Wahrheit unser Joga.
XX
Was verstehen wir unter „Zufall" ? Zufall kann nur das Gegenteil von Ordnung und Harmonie sein. Es gibt nur eine wahrhaftige Harmonie, nämlich die übergeistige — die Herrschaft der Wahrheit, der Ausdruck des göttlichen Gesetzes. Folglich hat der Zufall im Übergeist keinen Platz. Weil aber in der niederen Natur die
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höchste Wahrheit verdunkelt ist, findet sich dort nicht diese göttliche Einheit von Handeln und Ziel, die allein die Ordnung ausmacht. In Ermangelung dieser Einheit wird der Bereich der niederen Natur von dem regiert, was wir Zufall nennen, d.h. sie ist ein Feld, wo sich verschiedene widerstreitende Kräfte, die kein bestimmtes Ziel haben, miteinander vermischen. Was auch immer aus dergleichen hervorgeht, ist Verwirrung, Missklang und Falschheit — ein Ergebnis des Zufalls. Zufall ist nicht bloß ein Begriff, der unsre Unkenntnis der betreffenden Ursachen verdecken soll, sondern eine Beschreibung des ungewissen Durcheinanders der niederen Natur, der diese ruhige, der göttlichen Wahrheit eigene Zielbewusstheit fehlt.
Die Welt hat ihren göttlichen Ursprung vergessen und ist ein Kampfplatz egoistischer Begierden geworden; doch kann sie sich der Wahrheit noch öffnen, sie durch ihre Sehnsucht herabsteigen lassen und eine Änderung in diesem Zufallswirbel bewirken. Was die Menschen infolge ihrer Erfahrungen, Gedankenverbindungen und Verallgemeinerungen als mechanische Ereignisabfolge betrachten, ist in der Tat Ergebnis einer Manipulation durch Kräfte der subtilen Welt, die alle ihren Eigenwillen zu verwirklichen suchen. Die Welt ist diesen ungöttlichen Mächten nachgerade so sehr unterworfen, dass der Sieg der Wahrheit nur errungen werden kann, wenn man für sie kämpft. Diese Wahrheit fällt ihr nicht einfach zu, sie muss sie gewinnen, indem sie Lüge und Entstellung von sich weist — und ein bedeutender Teil dieser Lüge und Entstellung besteht in der leichtfertigen Behauptung, dass, weil jedes Ding seinen letztlichen Ursprung im Göttlichen hat, folglich auch alle unmittelbaren Tätigkeiten geradewegs von ihm kommen. In Wahrheit ist aber das Göttliche hier in der niederen Natur durch kosmische Unwissenheit verhüllt, und was da geschieht, stammt nicht direkt aus dem göttlichen Wissen. Zu sagen, alles sei gleicherweise der Wille Gottes, ist eine sehr geschickte Einflüsterung der feindlichen Kräfte, die die Schöpfung so fest wie möglich in der Hässlichkeit und Unordnung stecken haben möchten, zu der sie herabgewürdigt ist. Was ist also zu tun, fragt ihr ? Nun, ruft das Licht herab, öffnet euch der Kraft der Umwandlung. Unzählige Male ist euch der göttliche Friede
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gegeben worden, und ebenso oft habt ihr ihn wieder verloren, weil etwas in euch sich weigert, seinen kleinlichen egoistischen Trott aufzugeben. Wenn ihr nicht ständig auf der Hut seid, fällt eure Natur wieder in ihre alten störrischen Gewohnheiten zurück, sogar nachdem sie von der herabkommenden Wahrheit erfüllt worden ist. Dieser Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen ist der Kern des Joga; wenn ihr aber dem höchsten Gesetz und der höchsten Ordnung, die euch enthüllt worden sind, entschlossen treu bleibt, werden die zum Bereich des Zufalls gehörenden Teile eures Wesens sich schließlich, wie langsam auch immer, bekehren und vergöttlichen lassen.
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Verschiedene Arten von Raum und Zeit
Furchtlosigkeit auf der lebentlichen Ebene
Raum und Zeit beginnen weder mit dem geistigen Bewusstsein noch hören sie damit auf; sie bestehen sogar im Obergeist. Sie sind Formen allen kosmischen Seins, doch sind sie auf jeder Stufe verschieden. Jede Welt hat ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit.
So stimmen der geistige Raum und die geistige Zeit nicht mit dem überein, was wir im stofflichen All beobachten. In der Geistwelt können wir uns nach Willen und Belieben vor- und rückwärts bewegen. Sobald ihr an eine Person denkt, seid ihr bei ihr. Auch wenn ihr ganz in der Nähe von jemandem seid, könnt ihr ihm sehr fern sein, wenn eure Gedanken mit jemand anders beschäftigt sind. Die Bewegung ist unmittelbar, denn die raumzeitlichen Bedingungen sind auf jener Ebene sehr frei. In der lebentlichen Welt dagegen muss man vom Willen Gebrauch machen; auch dort ist Entfernung etwas weniger Starres, aber die Bewegung ist nicht unmittelbar — man muss den Willen einsetzen.
Die Kenntnis der verschiedenen Raum-Zeiten kann im Joga von großem praktischen Nutzen sein. So viele Fehler rühren daher, dass ihr nicht richtig zu handeln vermögt, wenn ihr im lebentlichen
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oder im geistigen Körper seid. In euren Träumen z.B. müsst ihr daran denken, dass ihr im Raum und in der Zeit der lebentlichen Welt seid und nicht handeln sollt, als wäret ihr noch im physischen Körper. Habt ihr das nötige Wissen von der Beschaffenheit der Dinge auf jenen Ebenen, so könnt ihr mit den lebentlichen Wesen, die euch ängstigen und so unangenehme Albdrücke verursachen, viel leichter fertig werden. Eine der Besonderheiten des Wirkens von Raum und Zeit im Lebentlichen ist, dass die Wesen jener Ebenen fähig sind, nach Belieben gigantische Formen anzunehmen und in euch Vibrationen der Furcht zu erzeugen, was eines ihrer stärksten Mittel ist, in euch einzudringen und euch zu besetzen. Man muss sich ihrer schreckerregenden Illusionskraft erinnern und alle Furcht von sich weisen. Sobald ihr ihnen mutig und unbeirrt entgegentretet, ihnen sozusagen gerade ins Auge blickt, verlieren sie dreiviertel ihrer Macht. Und wenn ihr mich zu Hilfe ruft, vergeht auch das letzte Viertel, und sie nehmen Reißaus oder lösen sich auf. Ein Freund von mir, der in seinem lebentlichen Körper auszugehen pflegte, klagte eines Tages, dass er sich jedesmal einem riesigen Tiger gegenübersehe, der ihm grässliche Nächte bereite. Ich sagte ihm, er solle alle Furcht bannen und geradewegs auf das Tier losgehen, ihm dabei ins Gesicht blicken und notfalls um Hilfe rufen. Das tat er denn auch, und was geschah ? Der Tiger schrumpfte zu einem unscheinbaren Kätzchen zusammen !
Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für eine fast magische Wirkung es haben kann, wenn man einem lebentlichen Wesen furchtlos in die Augen sieht. Sogar wenn ihr auf der Erde all den Verkörperungen lebentlicher Mächte, die wir gewöhnlich Tiere nennen, in dieser Weise begegnet, dürft ihr einer mühelosen Meisterschaft versichert sein. Auch ein physischer Tiger wird vor euch fliehen, wenn ihr ihm ohne das geringste Zittern gerade in die Augen blickt. Eine Schlange wird euch nicht beißen können, wenn es euch gelingt, euren Blick in den ihren zu heften, ohne die mindeste Furcht zu empfinden. Bloß zu starren und dabei in den Knien zu schlottern reicht nicht aus; es darf auch nicht die kleinste Aufregung in euch sein. Ihr müsst ruhig und gesammelt sein, wenn ihr ihren Blick einfangt, während sie ihren Kopf hin und her zu schwingen beginnt, um euch einen furchtbaren Schrecken einzujagen.
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Die Tiere nehmen in den Augen der Menschen ein Licht wahr, das sie nicht aushalten können, wenn es unbeirrt auf sie gerichtet wird. Der Blick des Menschen enthält eine Macht, die sie lahmt, sofern er fest und furchtlos ist. Also, um es kurz zusammenzufassen: fürchtet euch nie, gar nie, und ruft die rechte Hilfe, die eure Kraft noch hundertmal stärker macht.
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Wissen durch Einssein mit dem Göttlichen
Der göttliche Wille in der Welt
Bewusstsein ist die Fähigkeit, etwas gewahr zu werden, indem man sich im Wesen damit eint. Das göttliche Bewusstsein aber gewahrt nicht nur, sondern weiß und bewirkt. Denn bloße Wahrnehmung ist noch kein Wissen. Zum Beispiel eine Schwingung wahrnehmen heißt nicht, dass ihr sie auch ganz und gar kennt. Erst wenn das Bewusstsein am göttlichen Bewusstsein teilhat, besitzt es völliges Wissen durch Wesenseinheit mit dem Gegenstand. Im allgemeinen führt Identifikation eher zu Unwissenheit als zu Wissen, weil das Bewusstsein sich in dem verliert, was es wird, und unfähig ist, die eigentlichen Ursachen, Begleitumstände und Folgen zu erkennen. Wenn ihr euch beispielsweise mit einer Zornesregung identifiziert, wird euer gesamtes Wesen eine zornige Schwingung, wird blind und aufbrausend und vergisst alles andere. Nur wenn ihr zurücktretet, wenn ihr mitten im leidenschaftlichen Wirbel gelassen bleibt, vermögt ihr den Vorgang mit den Augen des Wissens zu betrachten. Solange man in einem gewöhnlichen Seinszustand ist, lässt sich Wissen also nur erlangen, indem man von der Erscheinung Abstand nimmt und sie betrachtet, ohne sich mit ihr zu identifizieren. Aber das göttliche Bewusstsein identifiziert sich mit seinem Gegenstand und erkennt ihn ganzheitlich, weil es mit der jeder Sache innewohnenden wesenhaften Wahrheit, ihrem Wesensgesetz, eins wird. Und es erkennt nicht nur, sondern bewirkt durch sein Wissen, was es vollbringen will. Bewusst sein bedeutet für es auch vermögen. Jede seiner Regungen ist ein Blitz der Allmacht,
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der nicht nur erhellt, sondern auch einen Feuerpfad zu dem Ziel bahnt, das seine Wahrheitsnatur bestimmt.
Euer gewöhnliches Bewusstsein ist ganz mit Unterbewusstheit vermischt; es tappt herum, macht große Anstrengungen und kommt meist zu nichts; durch Einheit mit dem Höchsten jedoch habt ihr teil an der höchsten Natur und bekommt das volle Wissen, wann immer ihr euch einem Gegenstand zuwendet und euch mit ihm ineinssetzt. Das bedeutet natürlich nicht unbedingt, dass ihr den ganzen Inhalt des göttlichen Bewusstseins erfasst. Eure Regungen werden wahr, aber ihr besitzt nicht die ganze mannigfaltige Fülle des Tuns des Göttlichen. Immerhin werdet ihr in eurem eigenen Bereich fähig, die Dinge ihrer Wahrheit gemäß und richtig zu sehen, und das ist gewiss mehr, als was in jogischer Sprache als Wissen durch Identität bezeichnet wird. Denn die von manchen Disziplinen gelehrte Identität erweitert die Grenzen eurer Wahrnehmung, ohne in den innersten Kern eines Gegenstandes vorzudringen, sie verhilft dazu, die Dinge irgendwie von innen her zu sehen, doch nur in ihrem Erscheinungsaspekt. Identifiziert ihr euch zum Beispiel mit einem Baum, dann werdet ihr die Dinge so sehen können, wie ein Baum sie sieht, und dennoch erfahrt ihr nicht alles über den Baum, weil er selber nämlich dies Wissen nicht hat. Ihr teilt zwar die Empfindungen des Baums, aber bestimmt kennt ihr die Wahrheit nicht, die er darstellt, ebensowenig wie es genügt, eures eigenen Ichs bewusst zu sein, um zugleich die göttliche Wirklichkeit zu besitzen, die ihr insgeheim seid. Wenn ihr hingegen mit dem göttlichen Bewusstsein eins seid, kennt ihr die Wahrheit, die hinter dem Baum steht, besser als er selbst; kurz, ihr wisst alles, weil das göttliche Bewusstsein alles weiß.
Es gibt in der Tat viele Wege zu dieser Einheit: sehnendes Streben, Selbsthingabe oder irgendeine andere Methode. Jede führt zur Einheit, wenn sie beharrlich und aufrichtig befolgt wird. Das sehnende Streben — „Aspiration" — ist dieser dynamische Schwung eurer gesamten Natur; dies ist es, was hinter eurem Entschluss steht, das Göttliche zu erreichen. Hingebung kann man als das Aufgeben der Ich-Begrenzungen bezeichnen. Sich dem Göttlichen übergeben bedeutet, auf seine eigenen engen Schranken verzichten und sich von ihm erfüllen lassen, ein Mittelpunkt seines Spieles
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werden. Merkt euch aber wohl, dass das von Jogis so geschätzte kosmische Bewusstsein noch nicht das Göttliche ist; ihr könnt eure Grenzen in horizontaler Weise durchbrechen, wenn ihr wollt; aber ihr würdet euch sehr irren, hieltet ihr dies Gefühl von Ausweitung und kosmischer Vielfältigkeit für das Göttliche. Denn schließlich ist die universale Bewegtheit ein Gemisch von Falschheit und Wahrheit, so dass dabei anzuhalten heißen würde, unvollkommen zu bleiben. Ihr könnt also sehr wohl am kosmischen Bewusstsein teilhaben, ohne jemals die transzendente Wahrheit zu erreichen. Wenn ihr dagegen zum Göttlichen kommt, erlangt ihr auch die universale Verwirklichung und vermeidet dabei die Falschheit.
Das wirkliche Hindernis vor der Hingebung, ob an das Kosmische oder an das Transzendente, ist die Verliebtheit des Einzelnen in seine eigenen Begrenzungen. Diese Liebe ist ganz natürlich, findet sich doch schon in der Prägung des Einzelwesens eine Neigung, sich an bestimmte Grenzen zu halten — sonst könnte das Gefühl von Getrenntheit nicht bestehen, alles wäre vermischt, wie das sehr oft bei den Regungen des lebentlichen und geistigen Bewusstseins der Fall ist. Der Körper vor allem wahrt durch seinen Mangel an Geschmeidigkeit die abgetrennte Individualität, und ist diese einmal gefestigt, dann schleicht sich die Furcht ein, sie wieder zu verlieren — ein in mancher Hinsicht sehr gesunder Instinkt, aber fehl am Platz, wenn es um das Göttliche geht. Denn im Göttlichen verliert ihr eure Individualität nicht eigentlich, vielmehr gebt ihr eure Ichhaftigkeit auf, um das wahre Einzelwesen, die göttliche Persönlichkeit zu werden, die nicht zeitbedingt ist wie diese Konstruktion des physischen Bewusstseins, die man gewöhnlich für sich selbst hält. Ein einziger Kontakt mit dem göttlichen Bewusstsein genügt, um sogleich zu sehen, dass man sich in ihm nicht verliert. Man findet darin im Gegenteil eine wahrhaft individuelle Dauer, die hundert Tode des Körpers und alle Fährnisse der lebentlichen und geistigen Evolution überleben kann. Ohne diesen umwandelnden Kontakt irrt ihr immer in der Angst umher; mit ihm jedoch erlangt ihr nach und nach das Vermögen, sogar euer physisches Wesen plastisch zu machen, ohne eure Individualität zu verlieren. Schon jetzt ist euer physisches Wesen nicht völlig starr, es vermag die bewussten Regungen von anderen durch ein gewisses
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Mitfühlen zu empfinden, das sich in nervliche Reaktionen auf ihre Freuden und Nöte überträgt; es vermag auch eure eigenen inneren Regungen auszudrücken; bekanntlich ist das Gesicht ein Anzeiger und Spiegel des Geistes. Aber nur das göttliche Bewusstsein kann den Körper so empfänglich machen, dass er alle Regungen der übergeistigen Unsterblichkeit wiedergibt und gewissermaßen Ausdruck der wirklichen Seele ist; indem er sich so vergöttlicht, erreicht der Körper den Gipfel einer höchsten Individualität, die sich auch physisch über die Notwendigkeit von Tod und Auflösung erheben kann.
Zum Schluss möchte ich eure Aufmerksamkeit auf einen Punkt lenken, der sehr oft der wahren Einung im Weg steht. Es ist nämlich ein großer Irrtum zu meinen, der göttliche Wille handle immer offen in der Welt. Tatsächlich ist nicht alles göttlich, was geschieht; der höchste Wille wird in der Offenbarung durch die niedrigen Kräfte entstellt, die sie hier unten übersetzen. Diese als Mittler dienenden Kräfte verfälschen den vom göttlichen Willen gegebenen Antrieb und bewirken ungöttliche Ergebnisse. Wäre alles Geschehene die makellose Übertragung des höchsten Willens, wie könntet ihr dann all die Entstellungen in dieser Welt erklären ?... Das heißt nicht, dass nicht der göttliche Wille die kosmische Unwissenheit verursacht haben kann. Er ist allmächtig, und alle Möglichkeiten sind in ihm; er kann alles ins Werk setzen, dessen geheime Notwendigkeit er in seiner Urschau sieht. Denn die erste Ursache der Welt ist gewiss das Göttliche, obwohl wir uns davor hüten müssen, diese Tatsache mental, unsern kleinlichen ethischen Werten entsprechend, zu ermessen. Waren die Bedingungen des Kosmos einmal festgelegt und die Involution in das Vorbewusstsein als Grundlage angenommen für die fortschreitende Offenbarung des Göttlichen aus dem heraus, was uns als sein völliges Gegenteil erscheint, da ergab sich eine Art Trennung zwischen dem Höheren und dem Niederen. Die Geschichte der Welt ist ein Kampf zwischen dem Wahren und dem Falschen geworden, ein Kampf, dessen Einzelheiten nicht alle unmittelbar das fortschreitende Wirken des Göttlichen darstellen, sondern wegen des massiven Widerstandes der niederen Natur eher eine Entstellung dieses Wirkens. Hätte es diesen Widerstand nicht gegeben, so wäre in der Welt
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überhaupt nichts zu erringen gewesen, denn sie wäre ja lauter Harmonie, ein ständiger Übergang von einer Vollkommenheit zur anderen, statt des Widerstreits, der sie jetzt ist — ein Spiel des Zufalls und vielfältiger Möglichkeiten, wo das Göttliche wirklichen Schwierigkeiten begegnet und oft vor wirklichen zeitweiligen Niederlagen steht auf dem Weg zum schließlichen Sieg. Gerade diese Wirklichkeit des gesamtes Spiels macht, dass es nicht bloß ein Spaß ist.
Der göttliche Wille erfährt wirklich eine Entstellung, sobald er die feindlichen Kräfte in der Unwissenheit berührt. Darum dürfen wir nie nachlassen in unseren Bemühungen, die Welt zu ändern und eine andere Ordnung einzuführen. Man muss bedacht sein mit dem Göttlichen zusammenzuarbeiten, sich nicht mit dem friedlichen Gedanken begnügen, dass alles, was geschieht, auch immer das Beste sei. Alles hängt von der persönlichen Haltung ab. Könnt ihr im Angesicht von Ereignissen, die gerade im Begriff sind zu geschehen, die höchste mögliche Haltung einnehmen, das heißt, bringt ihr euer Bewusstsein mit dem höchsten euch zugänglichen Bewusstsein in Kontakt, dann dürft ihr völlig gewiss sein, dass in diesem Fall das Bestmögliche geschieht. Sobald ihr aber aus diesem Bewusstsein in ein niedrigeres fallt, geschieht offensichtlich nicht das Bestmögliche, weil ihr eben nicht in eurem besten Bewusstsein seid. Wie Sri Aurobindo einmal zu jemandem sagte: „Was geschehen ist, hatte zu geschehen, aber es hätte viel besser sein können." Da die betreffende Person nicht in ihrem höchsten Bewusstsein war, war kein anderer Ausgang möglich; hätte sie aber das Göttliche in sich herabsteigen lassen, dann wäre manches anders verlaufen, selbst wenn die allgemeine Lage unausweichlich gewesen wäre. Der ganze Unterschied liegt darin, wie der Antrieb des göttlichen Willens aufgenommen wird.
Man muss sehr hoch steigen, bevor man diesem Willen in seiner ganzen und echten Herrlichkeit begegnen kann, und erst wenn ihr ihm eure niedere Natur öffnet, kann er anfangen, sich in Ausdrücken der Wahrheit zu offenbaren. Hütet euch daher davor, einfach den Nietzsche'schen Maßstab augenblicklichen Erfolges anzuwenden, um das Göttliche vom Ungöttlichen zu unterscheiden. Denn das Leben ist ein Kampfplatz, und das Göttliche hat in
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den Einzelheiten erst dann Erfolg, wenn die niedere Natur für seine Eingebungen offen ist, anstatt sich auf die Seite der feindlichen Kräfte zu stellen. Und sogar dann ist der Prüfstein weniger ein äußerer als ein innerer: eine gewisse Art von Schwingung lässt uns die Gegenwart des göttlichen Willens erkennen; äußere Kriterien nützen dabei nichts, denn was wie ein Fehlschlag aussieht, kann in Wirklichkeit göttliche Vollbringung sein.
Überlasst euch der Gnade des Göttlichen, denn in Gestalt der Gnade, der Liebe, hat Es eingewilligt, dies Weltall zu erheben, nachdem die erste Involution vollbracht war. Bei der göttlichen Liebe findet sich die höchste Umwandlungskraft. Sie hat dies Vermögen, denn für die Umwandlung hat sie sich der Welt geschenkt und sich überall offenbart. Sie hat sich nicht nur in den Menschen, sondern auch in jedes Atom der dunkelsten Materie begeben, um die Welt zur ursprünglichen Wahrheit zurückzuführen. Diese Herabkunft wird in den indischen Schriften als das höchste Opfer bezeichnet. Ein Opfer ist dies allerdings nur vom menschlichen Gesichtspunkt aus, denn die Menschen meinen, sie hätten ein ungeheures Opfer zu bringen, wenn sie so etwas tun müssten ! Aber das Göttliche lässt sich nicht wirklich vermindern, seine unendliche Essenz kann niemals weniger werden, durch was für „Opfer" auch immer...
Sobald ihr euch der göttlichen Liebe öffnet, empfangt ihr deren Umwandlungskraft; doch könnt ihr sie nicht nach der Menge messen. Worauf es ankommt, ist der wahre Kontakt, denn ihr entdeckt dann, dass der wahre Kontakt mit dieser Liebe genügt, um alsbald euer gesamtes Wesen zu erfüllen.
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Sri Aurobindos Werk ist eine einzigartige Erdumwandlung.
Über dem Geist befinden sich mehrere Ebenen bewussten Seins, von denen die wirklich göttliche jene ist, die Sri Aurobindo den Übergeist [Supermind] genannt hat, die Welt der Wahrheit. Doch
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dazwischen liegt, was er als den Obergeist [Overmind] bezeichnet hat, die Welt der kosmischen Götter. Dieser Obergeist nun hat bis jetzt unsre Welt regiert. Er ist das Höchste, was der Mensch im erleuchteten Bewusstsein zu erreichen vermocht hat. Er ist für das höchste Göttliche gehalten worden, und alle, die dahin gelangt sind, haben nie einen Augenblick daran gezweifelt, dass sie mit dem wahren Spirt in Berührung gekommen seien. Denn seine Herrlichkeiten sind so gewaltig für das menschliche Bewusstsein, dass es ganz und gar geblendet wird und glaubt, hier endlich sei die krönende Wirklichkeit. Und doch ist es eine Tatsache, dass der Obergeist weit unterhalb des wirklichen Göttlichen liegt. Er ist nicht die eigentliche Heimat der Wahrheit. Er ist nur der Bereich der Bildner [formateurs], all jener schöpferischen Mächte und Gottheiten, vor denen der Mensch sich seit Beginn der Geschichte gebeugt hat. Und der Grund, weshalb das wahre Göttliche sich nicht offenbart und die Erdnatur gewandelt hat, ist gerade der, dass der Obergeist für den Übergeist gehalten worden ist...
Die kosmischen Götter leben nicht völlig im Wahrheitsbewusstsein, sie stehen nur in Fühlung mit ihm, und jeder von ihnen verkörpert einen Aspekt jener Herrlichkeit.
Zweifellos hat auch der Übergeist in der Geschichte der Welt gehandelt, aber immer durch den Obergeist. Einzig die unmittelbare Herabkunft des übergeistigen Bewusstseins und der übergeistigen Macht kann das Leben völlig neuschaffen in den Ausdruck des Spirts. Denn im Obergeist gibt es bereits das Spiel der Möglichkeiten, das den Anfang dieser unteren Dreiwelt von Geist, Leben und Materie kennzeichnet, in der unser Dasein sich entfaltet. Und wo immer dies Spiel ist und nicht das spontane und untrügliche Wirken der dem Spirt angestammten Wahrheit, befindet sich im Keim die Unwissenheit und die Entstellung. Das heißt nicht, dass der Obergeist ein Feld des Unwissens sei, sondern dass er der Grenzbereich zwischen dem Höheren und dem Niederen ist; denn das Spiel der Möglichkeiten, das Spiel einer gesonderten, wenn auch noch nicht abgetrennten Wahl muss wohl folgerichtig in eine Abweichung von der Wahrheit der Dinge münden.
Folglich hat der Obergeist nicht die Macht — und kann sie auch
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gar nicht haben —, die Menschheit umzuwandeln und ihr eine göttliche Natur zu geben. Dafür ist der Übergeist die einzig wirksame Gewalt. Und genau dies unterscheidet unseren Joga von den früheren Versuchen, das Leben zu „spiritualisieren", zu verspirtlichen: wir wissen, dass die Herrlichkeiten des Obergeistes nicht die höchste Wirklichkeit sind, sondern nur eine Stufe zwischen dem Geist und dem wahren Göttlichen.
XXIV
Wahre Demut — Übergeistige Bildsamkeit
Da ich oft darüber befragt worden bin, will ich kurz erläutern, was wahre Demut, übergeistige Bildsamkeit und spirtliche Wiedergeburt bedeuten.
Demut ist ein Bewusstseinszustand, in dem ihr wisst — wie hoch auch eure Verwirklichung sein mag —, dass die Unendlichkeit noch immer vor euch liegt. Die seltene Eigenschaft, selbstlos bewundern zu können, von der ich schon zu euch gesprochen habe, ist nur eine andere Seite der wahren Demut; denn es ist Anmaßung, was einen vom Bewundern abhält und mit den eigenen kleinen Errungenschaften zufrieden sein lässt, wobei das Unendliche vergessen wird, das stets weit über all das hinausgeht. Doch ist Demut nicht nur dann nötig, wenn ihr nichts Eigentliches oder Göttliches in euch habt, sondern sogar wenn ihr auf dem Weg der Umwandlung seid. So paradox es tönen mag, das Göttliche, das absolut vollkommen ist, ist zugleich absolut demütig — so demütig, wie nichts anderes sein kann. Es ist nicht damit beschäftigt, sich selbst zu bewundern; denn obwohl es alles Bestehende ist, sucht es sich immer in dem zu finden, was es nicht ist — darum hat es in seinem eigenen Wesen erschaffen, was wie ein kolossales Nicht-es-selbst aussieht: diese Welt der Erscheinung. Die Form, die es angenommen hat, ist derart, dass es in der Zeit endlos den unendlichen Gehalt von dem entdecken muss, was es in seinem ewigen Bewusstsein völlig besitzt.
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Einer der größten Siege dieser unsäglichen Demut Gottes wird die Umwandlung der Materie sein, die scheinbar zum Allerungöttlichsten gehört. Die übergeistige Bildsamkeit ist eine Eigenschaft der endgültig umgewandelten Materie. Der übergeistige Körper, der entstehen muss, wird vier Haupteigenschaften haben: er wird leicht sein, anpassungsfähig, bildsam und leuchtend. Wenn der physische Körper durch und durch vergöttlicht sein wird, wird man stets den Eindruck haben, auf Luft zu gehen; es wird keine Schwere, kein Tamas und keine Unbewusstheit mehr in ihm geben. Auch werden seiner Anpassungsfähigkeit keine Grenzen gesetzt sein, gleich welche Anforderungen an ihn gestellt werden: er wird ihnen sogleich gewachsen sein, weil seine völlige Bewusstheit alle Trägheit und Unfähigkeit vertreibt, die gewöhnlich Materie zum Ballast für den Spirt machen. Die übergeistige Bildsamkeit wird ihm ermöglichen, Angriffen jeder feindlichen Kraft zu begegnen, und zwar nicht indem er schweren Widerstand entgegensetzt, sondern indem er sich so geschmeidig macht, dass die Kraft vorbeigeht und zunichte wird. So wird er keinen Schaden nehmen und die mörderischsten Angriffe unversehrt überstehen. Schließlich wird er in Lichtsubstanz gewandelt sein, jede Zelle wird die übergeistige Herrlichkeit ausstrahlen. Nicht nur jene, die so weit entwickelt sind, dass sie die feinartige Schau haben, werden dies Leuchten wahrnehmen können, sondern auch die gewöhnlichsten Leute werden es sehen. Es wird eine offenbare Tatsache für alle Welt sein, ein dauernder Beweis für die Umwandlung, der auch den schlimmsten Skeptiker überzeugen wird.
Die leibliche Umwandlung wird die höchste spirtliche Wiedergeburt sein — eine völlige Verwerfung aller gewöhnlichen Vergangenheit. Spirtliche Wiedergeburt bedeutet ja ein ständiges Verwerfen unsrer alten Bindungen, unsrer früheren Handlungsweisen und all der verflossenen Umstände unsres Daseins, um so zu leben, als begännen wir in jedem unberührten Augenblick ein neues Leben. Dies bedeutet Befreiung vom sogenannten Karma, vom Strom unsres einstigen Tuns; oder anders ausgedrückt, es ist eine Befreiung aus der Knechtschaft der gewohnten Tätigkeiten der Natur, ihren Ursachen und Wirkungen. Sobald dieser Bruch mit der Vergangenheit im Bewusstsein siegreich vollzogen ist, fallen all
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jene Fehler, Fehltritte, Irrtümer und Torheiten von uns ab, die in unsrer Erinnerung so lebendig sind und sich an uns anklammern und uns aussaugen wie Blutegel — sie fallen von uns ab und lassen uns froh und frei. Diese Freiheit ist nicht bloß eine Sache des Denkens; sie ist eine ganz greifbare, geradezu dinghaft stoffliche Tatsache. Wir sind wirklich frei, nichts bindet uns, nichts beeinträchtigt uns, es gibt keinen Duck von Verantwortung mehr. Wollen wir unsre Vergangenheit unwirksam machen, sie aufheben oder über sie hinauswachsen, so gelingt uns das nicht durch bloße Reue oder Ähnliches; wir müssen vergessen, dass es die unverwandelte Vergangenheit je gegeben hat und in einen erleuchteten Bewusstseinszustand treten, der sich von allen Vertäuungen losreißt. Wiedergeboren werden heißt vor allem, in das seelische Bewusstsein eintreten, wo wir mit dem Göttlichen eins sind und ewig frei von den Wirkungen des Karma. Ohne des Seelischen gewahr zu werden, ist das nicht möglich, sind wir aber der wahren Seele in uns, die dem Göttlichen immer hingegeben ist, einmal richtig bewusst, so hört alle Knechtschaft auf. Dann ist das Leben jeden Augenblick neu, dann klammert sich das Vergangene nicht mehr an uns. Um euch eine Vorstellung von der letzten Höhe spirtlicher Wiedergeburt zu geben, kann ich euch sagen, es ist eine dauernde Erfahrung möglich, dass das gesamte Weltall jeden Augenblick tatsächlich verschwindet und jeden Augenblick neu erschaffen wird.
XXV
Die übergeistige Verwirklichung
Der erste Schritt, die erste Voraussetzung, um zu wissen, wie die übergeistige Verwirklichung sein wird, besteht darin, das übergeistige Bewusstsein zu kennen. Alle, die damit auf irgendeine Weise in Kontakt getreten sind, haben einen Schimmer von der Verwirklichung erhascht, die kommen muss.
Die aber diesen Kontakt nicht gehabt haben, können dennoch nach dem übergeistigen Wissen und der übergeistigen Verwirklichung streben.
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Wahres Wissen setzt eine Wahrnehmung durch Identität voraus; seid ihr einmal mit der übergeistigen Welt in Fühlung getreten, könnt ihr von ihrer Herabkunft sprechen, nicht eher. Vorher könnt ihr höchstens sagen, dass es auf Erden eine neue Schöpfung geben wird, und das sagt ihr mit eurem Glauben, da die genaue Beschaffenheit dieser Schöpfung euch entgeht. Und wenn ihr eine Definition geben müsst, so könnt ihr sagen, vom individuellen Standpunkt aus bedeute sie die Umwandlung eures normalen menschlichen Bewusstseins in ein göttliches und übergeistiges.
Das Bewusstsein gleicht einer Treppe. In jeder großen Epoche hat es ein Wesen gegeben, das der Treppe eine Stufe hinzuzufügen und einen Ort zu erreichen vermochte, wo das Menschenbewusstsein noch nie gewesen war. Es ist zwar möglich, eine hohe Ebene zu erreichen und völlig aus dem stofflichen Bewusstsein hinauszutreten, aber dann verlässt man die Leiter; die große Errungenschaft der großen Epochen der Welt hingegen ist die Fähigkeit gewesen, der Leiter jeweils eine weitere Stufe hinzuzufügen, ohne die Fühlung mit der stofflichen Welt zu verlieren; das Vermögen, zum Höchsten zu gelangen und gleichzeitig den Gipfel mit dem Grund zu verbinden, anstatt eine Art von Leere die verschiedenen Ebenen voneinander trennen zu lassen. Hinauf und hinab zu steigen und den Gipfel mit dem Grund zu verknüpfen ist das ganze Geheimnis der Verwirklichung, und das ist das Werk des Awatars. Jedesmal, wenn er eine neue Stufe an die Treppe fügt, gibt es eine neue Schöpfung auf der Erde. Sri Aurobindo hat die Stufe, die er jetzt hinzufügt, den Übergeist genannt; als Ergebnis wird das Bewusstsein imstande sein, die übergeistige Welt zu betreten, ohne dabei seine persönliche Form, seine Einzelwerdung zu verlieren, und dann wieder herabzukommen, um hier eine neue Schöpfung einzurichten. Das ist gewiss nicht die letzte, denn es gibt weitere Bereiche des Seins; doch jetzt sind wir am Werk, den Übergeist herabzubringen, um eine Neueinrichtung der Welt zu bewirken, die Welt zur wahren göttlichen Ordnung zurückzubringen. Es ist im wesentlichen eine Schöpfung der Ordnung — alles an seinen wahren Platz zu stellen, und die Hauptkraft, die gegenwärtig vor allem tätige Schakti, ist Mahāsaraswatī, die Göttin vollkommener Organisation.
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Die Arbeit, eine zusammenhängende Verbindung zu schaffen, die ermöglicht, hinauf- und hinabzusteigen und ins Stoffliche das herabzubringen, was oben ist, geschieht innerhalb des Bewusstseins. Sogar wenn der dafür Bestimmte, der Awatar, in einen Kerker gesperrt wäre, niemanden sähe und nie herauskäme, würde er dennoch das Werk tun, weil es ein Werk im Bewusstsein ist, das Werk der Verknüpfung des Übergeistes mit dem stofflichen Dasein. Er braucht nicht erkannt zu werden, er braucht keine äußere Macht zu haben, um diese bewusste Verbindung herzustellen. Ist das aber einmal getan, so muss es seine Wirkung in der äußeren Welt haben in Gestalt einer neuen Schöpfung, angefangen mit einer Musterstadt und gekrönt von einer vollkommenen Welt.
XXVI
Wisst ihr, was es bedeutet, wenn ich euch die Blume gebe, die wir „Erfolgreiche Zukunft" genannt haben? Das bedeutet die Hoffnung — ja mehr als das: die Verheißung —, dass ihr an der Herabkunft der übergeistigen Welt teilhaben werdet. Denn diese Herabkunft wird die glückliche Krönung unserer Arbeit sein, eine Herabkunft, deren volle Herrlichkeit noch nie gewesen ist — sonst wäre das ganze Antlitz der Erde ein anderes. Der Übergeist macht jetzt nach und nach seinen Einfluss geltend; bald fühlt sich dieser Teil des Wesens, bald jener von seiner Göttlichkeit umfangen oder berührt; wenn er aber in seiner ganzen eigenständigen Macht herabkommt, dann wird eine höchste und radikale Veränderung die gesamte Natur erfassen. Wir nähern uns mehr und mehr der Stunde seines vollständigen Triumphs. Sobald auf der Welt die Bedingungen dafür erfüllt sind, wird die völlige Herabkunft stattfinden; sie wird alles mit sich bringen. Ihre Gegenwart wird unmissverständlich sein, ihre Kraft wird keinen Widerstand dulden; Zweifel und Schwierigkeit werden euch nicht mehr quälen. Denn das Göttliche wird offenbart sein, in seiner Vollkommenheit und Vollständigkeit enthüllt. Ich will jedoch nicht sagen, dass die
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ganze Welt sogleich seine Gegenwart fühlen oder sofort umgewandelt sein wird; ich meine aber, dass ein Teil der Menschheit um seine Herabkunft wissen und daran teilhaben wird — zum Beispiel unsere kleine Welt hier. Von hier aus wird die verwandelnde Gnade höchst wirksam ausstrahlen. Und zum Glück für die Aspiranten wird diese schöne Zukunft sich trotz all der Hindernisse materialisieren, die ihnen die noch unverwandelte Menschennatur in dem Weg stellt !
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Nur im Schweigen lässt sich ein wahrer Fortschritt machen. Nur im Schweigen kann eine falsche Regung berichtigt werden. Nur im Schweigen kann man anderen helfen.
Habt ihr eine Wahrheit entdeckt, in euch selbst einen Fehler berichtigt, einen Fortschritt gemacht, und sprecht ihr dann darüber oder schreibt es jemand anderem als eurem Guru, so verliert ihr diese Wahrheit oder diesen Fortschritt sogleich.
In der Ruhe kann der Körper seine Empfänglichkeit vergrößern und das Vermögen erlangen, das Empfangene zu behalten.
Vollkommene Ruhe und seelischer Gleichmut, das ist der erste Schritt.
Nur in der Stille und im Frieden kann man wissen, was am besten zu tun ist.
Der weite Friede und die Ruhe sind da, bereit, dass du dich ihnen öffnest und sie empfängst.
Versuche, dein Bewusstsein von den äußeren Umständen abzuheben, denn nur da kann es von solchen Dingen gestört werden, und finde im Innern den Frieden, der immer unerschütterlich ist.
Öffne dich dem Bewusstsein, das auf dich und in dir wirkt, und bleibe immer so ruhig und friedvoll wie möglich.
Sei stets ruhig, gelassen und voller Frieden, lass durch die Transparenz einer völligen Aufrichtigkeit die Kraft in deinem Bewusstsein wirken.
Das göttliche Bewusstsein ist am Werk, dich umzuwandeln; öffne dich ihm, damit es frei in dir wirken kann.
Die Öffnung zum göttlichen Licht lässt sich nicht erzwingen.
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Ich verlange nur das Opfer des Unwissens, der Unbewusstheit und der Grenzen des Ego; aber für welch unvergleichlich wundervollen Gewinn !
Dein Denken ist zu rege. Es hindert dich daran, dich einfach durch meinen Willen führen zu lassen.
Begründe in deinem Körper mehr Frieden und größere Ruhe; das wird dir die Kraft geben, den Angriffen der Krankheit zu widerstehen.
Wahre Selbsthingabe weitet euch; sie mehrt eure Fähigkeit und schenkt euch ein größeres Maß, qualitativ wie quantitativ, das ihr von euch aus nicht hättet haben können.
Die Gnade ist für alle gleich. Jeder aber empfängt entsprechend seiner Aufrichtigkeit. Sie hängt nicht von äußeren Umständen ab, sondern von einer aufrichtigen Sehnsucht und Empfänglichkeit.
Um mir immer nahe zu sein, wirklich und wirksam, müsst ihr immer aufrichtiger und freimütiger werden, euch mir immer mehr öffnen. Legt alle Verstellung ab und beschließt, nichts zu tun, was ihr mir nicht unverzüglich sagen könntet.
Glaube ist spontanes Wissen in der Seele.
Glaube ist eine Gewissheit, die sich nicht notwendig auf Erfahrung und Wissen stützt.
Alles hängt ab von der Intensität des Glaubens und der Festigkeit der wahren Haltung.
Mit Geduld und Ausdauer finden alle Gebete Erhörung.
Beharre in deiner Sehnsucht, und sie wird in Erfüllung gehen.
Bleibe fest in deiner Sehnsucht, sei geduldig in deinem Streben, und der Erfolg ist dir sicher.
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Sei fest und geduldig: alles wird gut gehen.
Habe weiterhin vollen Glauben an des Göttlichen Gnade, Willen und Wirken, und alles wird gut gehen.
Alles kommt zu seiner Zeit, bewahre geduldiges Vertrauen, und alles wird gut gehen.
Fürchte nichts, deine Aufrichtigkeit ist dein Schutz.
Es ist immer besser, nicht auf Geschwätz zu hören, vor allem über sogenannte spirituelle Dinge. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen, und die anderen haben dabei nichts zu suchen.
Sadhana ist immer schwer. Jeder hat widersprüchliche Elemente in seiner Natur, und es ist schwierig, das Lebentliche von seinen eingewurzelten Gewohnheiten abzubringen. Man muss die zentrale Sehnsucht bewahren, die immer aufrichtig ist, und trotz zeitweiliger Fehlschläge weitermachen, dann wird sich die Wandlung unausweichlich einstellen.
Die Wandlung im Lebentlichen wird von selber kommen, sobald ihr euch daran gewöhnt habt, in eurem höheren Bewusstsein zu bleiben, wo all diese kleinlichen Dinge und Regungen bedeutungslos sind.
Bewahrst du deinen Glauben unerschütterlich und hältst dein Herz mir immer offen, dann tragen alle Schwierigkeiten, wie groß sie auch sein mögen, zur weiteren Vervollkommnung deines Wesens bei.
Ich gebe dir einen Rat: hänge nicht am Leid, und das Leid wird dich ganz und gar verlassen. Leid ist weit davon entfernt, für den Fortschritt unerlässlich zu sein. Der größte Fortschritt wird in festem und freudigem Gleichmut der Seele gemacht.
Wenn ein Fehler begangen worden ist, soll er stets als Mittel zu
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einem Fortschritt genutzt werden; ist die nötige Wandlung verwirklicht, so verschwindet der Fehler samt seiner Ursache, und eine Wiederholung ist nicht mehr möglich.
Auch wenn die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten, werden sie nicht dadurch besser, dass man sich grämt. Ein ruhiges Vertrauen ist der Quell der Kraft.
Schließlich sind diese kleinen oberflächlichen Dinge von recht geringer Bedeutung, vergleicht man sie mit der Sendung, die wir auf der Erde zu erfüllen haben.
Diese kleinen physischen Unannehmlichkeiten können auch den Fortschritt beschleunigen helfen. Der Sitz all dieser Widerstände ist im Unterbewussten. Wir müssen dort mit bewusstem Willen eintreten und sogar in der halbbewussten Materie das Reich des Göttlichen begründen.
Wenn man Hindernissen entgegentritt und sie überwindet, bringt das immer eine neue Öffnung und einen spirtlichen Sieg.
Ich glaube nicht, dass ein Wechsel der Arbeit helfen würde, deinen Charakter zu ändern; das ist bisher noch nie gelungen.
Alles hängt von der Einstellung ab, mit der du die Arbeit tust. In der richtigen Haltung getan, wird sie dich mir sicher näherbringen.
Im richtigen Geist getane Arbeit ist Meditation.
Mach dir keine Sorgen wegen der Arbeit; je ruhiger und gelassener du sie tust, desto wirksamer wird sie.
Im allgemeinen ist es besser, sich nicht in Dinge einzumischen, die nicht unsre eigene Arbeit betreffen.
Schwierigkeiten bei der Arbeit kommen nicht von den unbedeutenden äußeren Umständen und Vorkommnissen, sondern von etwas
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Falschem an der inneren Haltung, vor allem der lebentlichen Einstellung: Ichbezogenheit, Ehrgeiz, starre Vorurteile hinsichtlich der Arbeit, Eitelkeit usw. Um eine Misshelligkeit zu beheben, ist es daher immer gut, die Ursache eher bei sich selber zu suchen als bei anderen.
Ein Sadhak soll essen, um das Bedürfnis des Leibes zu stillen und nicht, um die Ansprüche seiner Gefräßigkeit zu befriedigen.
Was nottut, ist eine innere Haltung des Freiseins von Essbegierde und Feinschmeckerei, und nicht eine unbegründete Verminderung der einzunehmenden Menge, keine freiwillige Schwächung. Man muss genug Nahrung zu sich nehmen, um die Kraft und Gesundheit des Leibes aufrechtzuerhalten, aber ohne daran zu hängen und ohne Gier.
Schlaf ist unerlässlich bei der gegenwärtigen Beschaffenheit des Körpers. Durch zunehmende Herrschaft über das Unterbewusste kann der Schlaf immer bewusster werden.
Ich weiß aus Erfahrung, dass der Schlaf nicht dadurch bewusst wird, dass man die Nahrung einschränkt; der Körper wird überreizt, was jedoch das Bewusstsein in keiner Weise mehrt. In einem tiefen und ruhigen Schlummer kann man mit tieferen Teilen seines Wesens in Berührung kommen.
Die Sinne sind trügerisch; sie vermitteln uns nicht die Wahrheit der Dinge, sondern nur einen unvollständigen und oft verzerrten Anschein.
Frauen sind nicht stärker an das lebentliche und stoffliche Bewusstsein gebunden als Männer. Im Gegenteil, weil sie im allgemeinen nicht die anmaßenden geistigen Ambitionen der Männer haben, fällt es ihnen leichter, ihr seelisches Wesen zu entdecken und sich von ihm rühren zu lassen.
Im allgemeinen sind sie nicht auf mentale Weise bewusst, die sich in Worten ausdrücken könnte; aber sie sind in ihren Gefühlen bewusst, und die Besten unter ihnen auch in ihren Taten.
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In anderen finden wir, was in uns ist. Wenn wir rings um uns nur Schmutz sehen, so zeigt dies, dass auch irgendwo in uns Schmutz ist.
Unser bester Freund ist jener, der uns in unserem Besten liebt und dennoch nicht von uns verlangt, dass wir anders seien, als wir sind.
Unser Wert liegt einzig in dem Maß unsrer Anstrengung, uns selbst zu übersteigen, und uns selbst übersteigen heißt das Göttliche erreichen.
Gebt euch hin, und ihr werdet euch finden.
Bevor ihr zu dem Schluss kommt, dass mit den anderen oder mit den Umständen etwas nicht stimmt, versichert euch ganz genau, dass euer Urteil richtig ist — und welches Urteil wäre richtig, solange man im gewöhnlichen Bewusstsein lebt, das sich auf Unwissenheit gründet und von Falschheit erfüllt ist ?
Einzig das Wahrheitsbewusstsein vermag zu urteilen. Es ist daher auf jeden Fall besser, das Urteil dem Göttlichen zu überlassen.
Wie aufrichtig, einfach und rein auch immer die Beziehung zwischen zwei Menschen sein mag, sie trennt sie doch mehr oder weniger von der unmittelbaren göttlichen Kraft und Hilfe ab und beschränkt ihrer beiden Stärke, Licht und Vermögen auf die Summe ihrer Befähigungen.
Wahrhaft glücklich ist, wer das Göttliche liebt, denn das Göttliche ist immer bei ihm.
Verlass dich ausschließlich auf die Liebe des Göttlichen. Empfängt man Seine Liebe, von welchem Wert kann dann noch eine menschliche Liebe sein ?
Menschliche Liebe hat stets einen bitteren Nachgeschmack. Einzig die göttliche Liebe enttäuscht nie.
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Der Aufrichtigkeit deiner Sehnsucht antwortet die Liebe spontan.
Im tiefen Frieden seelischen Gleichmuts wird deine Liebe wachsen bis zum vollen Erblühen, in einem Gefühl von reiner und dauernder Einheit.
Wirkliche Liebe und Weihung führen schneller zum Göttlichen als strenge Tapasja.
Lebe im Bewusstsein des seelischen Zentrums; so wird dein Wille nur den Willen des Göttlichen ausdrücken, und dein gewandeltes Wesen wird dann fähig sein, die göttliche Liebe zu empfangen und zu offenbaren.
Tritt tief in den Tempel ein, und da wirst du mich finden.
Titel geben einem Menschen nicht den geringsten Wert, es sei denn, er habe sie im Dienst des Göttlichen erworben.
Seid ihr wahrhaft verändert, dann ist auch alles um euch herum verändert.
Das Göttliche kann sich sehr wohl zu euch hinabbeugen, aber um es wirklich zu verstehen, müsst ihr zu ihm hinaufsteigen.
Alles hängt von der Wahl der Kraft ab, der ihr erlaubt, euch als Werkzeug zu benutzen. Und diese Wahl muss in jedem Augenblick eures Lebens getroffen werden.
Feindliche Kräfte werden auf der Welt nur deshalb geduldet, weil sie die Aufrichtigkeit des Menschen auf die Probe stellen. An dem Tag, wo der Mensch durch und durch aufrichtig sein wird, werden sie verschwinden, weil sie keine Daseinsberechtigung mehr haben werden.
Gut ist ein Reicher, der sich bloß als Treuhänder seines Geldbesitzes betrachtet und davon den bestmöglichen Gebrauch
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machen will. Dann gilt es nur seine Wahl zu erleuchten, und er wird unweigerlich sein Geld für das göttliche Werk geben.
Die Jünger beurteilen die Formen nach dem Meister, die anderen den Meister nach den Formen.
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